Donnerstag, 7. Dezember 2017

«Inklusion? Egal, wie man das nennt»

Eine Initiative von Vater und Sohn führt Menschen mit Demenz auf ungewöhnlichen Wegen in die Welt der Kunst.

Von Uschi Entenmann

Was für ein seltsames Paar: Hans-Robert Schlecht, 72, stützt sich schwer auf seinen Stock, Bart und Haare schlohweiß, wie ein Bär Balu, der in die Jahre gekommen ist. Neben ihm: Sohn Florian, 49, schlank und gespannt wie eine Feder, die Mähne hängt bis auf die Schultern.

Beide stehen im Foyer der Staatsgalerie von Stuttgart, um sie herum acht demenzkranke Menschen mit ihren Betreuern. Ein Grüppchen, das in der postmodernen Architektur des britischen Architekten James Stirling wirkt, als hätte es sich zwischen grellgrünen Fensterrahmen und pinkfarbenen Handläufen, zwischen Travertin und Sandstein verlaufen und müsste nun ratlos auf dem grasgrünen Linoleum ausharren.

Aber sie haben sich nicht verlaufen, sondern sind mit der Kunsthistorikerin Sabine Lutzeier verabredet, die sie über eine Rampe in die erste Etage führt. In Zeitlupe folgt das Grüppchen und setzt sich auf mitgebrachte Klapphocker vor das Pop Art Bild von Roy Lichtenstein, das eine Hand mit einer Spraydose zeigt.

«Ist das Sahne, was da aus der Dose kommt?», fragt eine Dame mit wallendem Weisshaar und beugt sich bis auf Nasenbreite dem Bild entgegen. Da ist auch schon die Aufpasserin im Anmarsch. «

Könnte sein», meint Florian Schlecht, während sich die ersten schon wieder abwenden. Nächste Station ist das Bild «Monturi in Rot und Blau» von Willi Baumeister. Hocker aufklappen, sitzen, schauen.

«Moderne Malerei», sagt Sabine Lutzeier. «So so», sagt eine zierliche Frau im Rollstuhl. «Und was soll das sein? Eine Landkarte? Vielleicht Ägypten?»

Alle zehn Minuten tippelt und rollt die Gruppe weiter. Als sie die Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck erreicht, schwenkt Hans Robert Schlecht seinen Krückstock auf eine Figur, die den Titel «Der Gestürzte» trägt und einen nackten Mann zeigt, der auf allen Vieren über den Boden kriecht.

«Ich werde nie vergessen», erzählt er, «wie wir einmal bei einem Museumsbesuch vor dieser Skulptur sassen und meine demenzkranke Mutter laut und deutlich rief: ’Was für ein geiler Arsch!’ Dabei war sie ihr Leben lang eine durch und durch prüde Person».

Kulturarbeit, nicht Sozialarbeit

Seit zehn Jahren führen Hans Robert Schlecht und Sohn Florian demenzkranke Menschen in Theater und Oper, Museen und Zirkus, zu Lesungen und Gottesdiensten. Sie haben dafür einen Verein gegründet und ihn «Rosen-Resli» genannt.

Der Name ist einer Schmonzette1 von 1954 entlehnt, in der Christine Kaufmann eine neunjährige Waise spielt, die sich rührend um ihre herzkranke Pflegemutter kümmert. Ziel des Engagements von Vater und Sohn ist es, die Lebensqualität dementer Menschen zu steigern. Deswegen verstehen sie sich als Entertainer. «Wir leisten Kulturarbeit, keine Sozialarbeit.

» Ist das Inklusion, wenn man eine Gruppe dementer Menschen durch die Stuttgarter Staatsgalerie oder ins Opernhaus führt? «Egal, wie man das nennt», sagt Vater Schlecht.

Weiter auf:
https://alzheimer.ch/de/alltag/aktivierung-und-entspannung/magazin-detail/275/inklusion-egal-wie-man-das-nennt/

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen